Achtsamkeit – muss das sein?

Beim Schreiben dieses Beitrags zum Thema „Achtsamkeit“ ertappe ich mich selbst dabei, wie mir das Wort schon nach kurzer Zeit auf die Nerven ging – kein Wunder: Vom Krankenkassen-Magazin bis zum Lifestyle-Blog haben hier gefühlt alle etwas beizusteuern. Ist das Ganze also wieder nur ein überstrapazierter Trend zur Selbstoptimierung oder steckt mehr dahinter?

Manchmal kann ein Wort abschreckend wirken: weil es etwas ernst, schwer oder kompliziert erscheinen lässt, weil es vorgibt, dass man etwas können oder jemand sein muss, um etwas zu tun. „Achtsamkeit“ ist für mich auf jeden Fall so ein Wort. Dabei geht es eigentlich nur um etwas ganz Einfaches und zutiefst Menschliches, das allerdings das Potential hat, uns in unserer informationsüberfluteten und handygesteuerten Zeit vor dem ständig drohenden Gedanken-Kollaps zu bewahren.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit bedeutet, bewusst im gegenwärtigen Moment zu sein und die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was gerade geschieht. Es geht darum, die Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten, also um bewusste Akzeptanz der Dinge, wie sie sind. Achtsamkeit ist also eher das Gegenteil dessen, was wir normalerweise in unserem Alltag tun. Denn meistens sind wir nicht „im Moment“ und reagieren eher unbewusst auf Situationen.

Die Achtsamkeitslehre stammt ursprünglich aus dem Buddhismus. Einer der renommiertesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist Jon Kabat-Zinn, der die Achtsamkeitslehren des Buddhismus in den 70er Jahren für die westliche Welt begreifbar und anwendbar machte. In den Begleitforschungen zu seinem „Mindfulness-Based-Stress- Reduction (MBSR) Programm“ konnte er nachweisen, wie positiv sich Achtsamkeit auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirkt.

Welche Vorteile hat Achtsamkeit?

Achtsamkeit kann sehr wirkungsvoll bei der Stressbewältigung helfen. Durch die bewusste Wahrnehmung von Gedanken und Gefühlen kann man lernen, sich nicht von diesen mitreißen zu lassen und sie ohne Bewertung loszulassen. Achtsamkeit kann auch das Wohlbefinden steigern, indem man lernt, sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren. Dies kann zu einem besseren Selbstwertgefühl und zu mehr Zufriedenheit im Leben führen.

Achtsamkeit und Konzentration sind übrigens zwei verschiedene Dinge: Wenn man sich konzentriert, richtet sich der Fokus auf etwas Bestimmtes und man möchte zum Beispiel einen Gedanken weiterdenken, um zu einer Lösung zu kommen. Achtsamkeit dagegen verfolgt kein bestimmtes Ziel. Konzentration kann allerdings durch Achtsamkeitsübungen verbessert werden.

Wie kann man achtsamer werden?

Achtsamkeit ist alltagstauglich und kann in vielen Bereichen des Lebens angewendet werden, wie zum Beispiel beim Essen, beim Sport, beim Spazierengehen oder sogar bei der Arbeit. Es geht zunächst um die bewusste Wahrnehmung der Umgebung z. B. mit ihren Geräuschen, Farben oder Düften. Die wichtigste Fähigkeit, um Achtsamkeit zu üben, ist Geduld. Wenn wir uns die Zeit nehmen, uns unserer Gedanken und Gefühle bewusst zu werden und sie zu betrachten lernen, können wir nicht nur mehr Verständnis und Mitgefühl für uns selbst, sondern auch für andere Menschen und Lebewesen entwickeln. Wir wissen irgendwann also nicht nur, was uns z. B. Angst macht, sondern auch warum und können dann möglicherweise besser damit umgehen.

Eine weitere Möglichkeit Achtsamkeit zu üben, ist Meditation. Im Zen-Buddhismus wählt man hierfür übrigens einfach das Wort „Sitzen“. Beim Meditieren setzt man sich für eine bestimmte Zeit hin und lenkt die Aufmerksamkeit z. B. auf seinen Atem. So kommt man bewusst im gegenwärtigen Moment an. Anfangs mag das – wenn überhaupt – nur für ein paar Sekunden gelingen, denn unser Verstand möchte immer mitreden und gefragt sein. Durch regelmäßige Meditation kann man lernen, seine Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren.

Gleichzeitig passiert auf körperlicher Ebene durch einfaches Sitzen und bewusstes Atmen etwas Großartiges: Denn achtsames Meditieren lässt die Amygdala, den Mandelkern, in der die Entstehung von Angstgefühlen verankert ist, im Gehirn schrumpfen und den Hippocampus, den „Arbeitsspeicher“ des Gehirns, wachsen. Dies kann durch Gehirnscans im MRT nachgewiesen werden. Als Folge können mit der Zeit Ängste nachlassen und sich positive Gedanken und Gefühle verstärken. Und bewusste „Bauchatmung“ mit unserem größten Atemmuskel, dem Zwerchfell, aktiviert den Parasympathikus, der auch als Ruhe- oder Erholungsnerv bezeichnet wird.

Achtsamkeit löst sicher nicht alle Probleme dieser Welt. Aber sie kann uns helfen, besser mit Angst, Stress oder Krisen umzugehen. Und wer es gut mit sich selbst aushält, ist meistens auch eine angenehme Gesellschaft für andere. Allein dafür lohnt es sich meiner Meinung nach schon, ein wenig öfter einfach mal zu sitzen und zu atmen.

Autorin: Christine Fröhlen (ebl-Redaktion)