Von fliegenden Flüssen und brennenden Wäldern

Aktuelle Schlagzeilen wie „Amazonas wird zunehmend zu CO2-Quelle“ sind alarmierend. Doch steht das größte Tropenwaldgebiet der Welt tatsächlich bereits an einem unumkehrbaren Wendepunkt? Der größte Teil der Emissionen wird durch Brände verursacht: Allein 2020 wurden dort mehr als 100.000 Feuer registriert.

Viele werden absichtlich gelegt, um durch Brandrodung Land für die Rindfleisch- und Sojaproduktion zu gewinnen. Zusätzlich angeheizt wird diese Entwicklung durch das zwischen der EU und südamerikanischen Staaten geplante Mercosur-Handelsabkommen, was in etwa „Gemeinsamer Markt Südamerikas“ bedeutet. Das mögliche Freihandelsabkommen mit den Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay steht schon länger in der Kritik, unter anderem wegen der zu erwartenden weiteren Umweltzerstörung und zunehmenden Menschenrechtsverletzungen.
Kritiker befürchten außerdem, dass europäische Landwirte durch günstige Nahrungsmittelimporte künftig in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden. Die EU hingegen möchte geschätzt ca. vier Milliarden Euro an Zöllen sparen und die Exporte, z. B. von Autos, ankurbeln. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie der renommierten London School of Economics dazu bestätigen: Die südamerikanischen Fleischproduzenten wären die größten Profiteure. Die wirtschaftlichen Gewinne für die EU wären hingegen sehr bescheiden. Und: Da Rinder, Zucker- und Soja-Plantagen große Landflächen beanspruchen, würde es die Vernichtung des Regenwalds weiter begünstigen.
Aber auch ohne die Brände bewirken die Erderwärmung und Trockenheit, dass das südöstliche Amazonasgebiet zunehmend zu einer CO₂-Quelle wird. Bis 2050 könnten bis zu vierzig Prozent Amazoniens gerodet worden sein, etwa doppelt so viel Fläche wie heute. Die zunehmende Entwaldung kann dazu führen, dass sich dieser südliche Teil des Regenwalds in eine Savanne verwandelt – mit entsprechenden Folgen für die Biodiversität und das Weltklima. Bei der Regulierung des Klimas spielt die Beziehung von Pflanzen, Böden und Wasser eine entscheidende Rolle. Wälder mit Millionen von Bäumen erzeugen sogenannte „fliegende“ oder „schwebende“ Flüsse in der Luft, die auch noch in tausenden Kilometer Entfernung Wolken bilden und Regenfälle verursachen können. Doch wie genau funktioniert das? Knapp mehr als die Hälfte seines Regens kann der Regenwald selbst erzeugen, indem er Niederschläge sozusagen „recycelt“. Ein Teil des Wassers verdampft nach Regen von den Blattoberflächen oder Ästen, der größte Teil wird jedoch aktiv von den Gewächsen freigesetzt: Sie pumpen das Wasser aus dem Boden in den Kronenraum, wo es über die Blätter verdunstet. Ursprüngliche Wälder, wie z. B. der Amazonas-Regenwald, wirken so auf die Zirkulation der Feuchtigkeit wie eine Art globale Pumpe: Mit ihren zahllosen Blättern setzen sie mehr Wasserdampf frei als die Ozeane. Kondensiert das von der baumreichen Vegetation ausgedünstete Wasser, entsteht ein lokales Tiefdruckgebiet. So entsteht ein Druckgefälle vom Ozean her zum Land, das kontinuierlich Nachschub an Feuchtigkeit bringt.
Dieser Bio-Rhythmus funktioniert allerdings nur über ursprünglichen Waldgebieten und gerät aus seinem Takt, wenn der Wald durch offenes Weideland oder Felder ersetzt wird. Auch Plantagen aus Ölpalmen, Kakaobäumen oder anderen Monokulturen können ihn nicht ersetzen. Die Gründe dafür: Regenwälder bestehen aus mehreren Stockwerken und haben ein wesentlich vielfältigeres und umfangreicheres Blätterdach. Und die tausenden verschiedenen Baumarten können durch ihre unterschiedlich tief reichenden Wurzeln verschiedene Wasservorräte im Boden anzapfen und einigermaßen konstant Feuchtigkeit verdunsten. Dagegen behindern bei Brandrodungen entstehende Aerosole, wie z. B. Rußpartikel, die Wolkenbildung und verringern so auch die Niederschlagsmenge.
Intakte Vegetation bzw. fruchtbare Böden mit Pflanzen- oder Baumbedeckung sind die Hauptregulatoren für funktionierende Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe und unverzichtbar für die Kühlung unseres Planeten sowie die Sicherung ausreichender Niederschläge. Sind der regionale Wasserkreislaufund das Recycling der Regenfälle gestört, gelangen auch zu wenig Niederschläge in die zentralen Gegenden des südamerikanischen Kontinents, einer der wichtigsten Agrarregionen der Welt für Soja, Zucker, Getreide und Fleisch. Diese Gebiete sind von häufigeren Dürren bedroht. Und so schließt sich der Kreis: Geht die Entwaldung ungebremst weiter, kann das die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen zerstören. Denn ohne den Regenwald, der ja für immer mehr Weiden und Ackerland gerodet wird, wird Landwirtschaft allein wegen des zu erwartenden Wassermangels in diesen Regionen dann nicht mehr möglich sein.
Herzliche Grüße
Christine Fröhlen (ebl-Redaktion)