100 % Bio muss keine Utopie sein
Weltweit werden laut der neuen Ausgabe des Pestizidatlas vier Millionen Tonnen Pestizide auf Äckern, Feldern und Wiesen versprüht. Alleine in Deutschland werden zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizide verkauft.
Und deutsche Konzerne verdienen hier kräftig mit. Neben Syngenta und Corteva sind die deutschen Unternehmen Bayer und BASF die Marktführer. Leider führt die Klimakrise derzeit zu einem erhöhten Einsatz von Pestiziden. Dabei könnte das alles ganz anders sein und die Antwort kennen wir längst alle: eine ökologische Landwirtschaft. Der Markt der Pestizide teilt sich in drei Produktgruppen auf. Etwa die Hälfte der eingesetzten Mittel sind Unkrautbekämpfungsmittel, die sogenannten Herbizide. Ein Drittel der Pestizide bekämpfen Insekten, das sind dann Insektizide. Rund 17 Prozent der Mittel sind Fungizide, also Mittel, die Pilze und Pilzsporen abtöten sollen. Während in Europa der Einsatz von Pestiziden zuletzt konstant geblieben ist, ist er in Asien und Nord- und Südamerika in den 2000er-Jahren stark gestiegen und ist fast doppelt so hoch wie in Europa. Dabei sind diese Gifte mittlerweile selbst im Bier und im Honig, auf Obst und Gemüse, im Gras, auf Spielplätzen und sogar im Urin und in der Luft nachzuweisen!
Der Pestizidatlas 2022, ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, PAN Germany und Le Monde Diplomatique, schätzt die Zahl der jährlich von Pestizidvergiftungen betroffenen Menschen auf weltweit 385 Millionen. Deshalb fordern die großen Umweltverbände weltweit seit Jahren den Ausstieg aus der Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide in der Landwirtschaft. Es ist ein Skandal, dass wir immer noch um ein weltweites Verbot von Pestiziden kämpfen, die krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind (CMRStoffe der Kategorie 1 und 2). Schockierend ist auch, dass Produkte, die in Europa längst verboten sind in anderen Regionen der Welt, soweit das dort erlaubt ist, weiterhin angeboten werden. In einer Studie hatte der Pestizidexperte Lars Neumeister 2015 ökologische und konventionelle Lebensmittel auf deren Pestizidbelastung untersucht. Die Studie zeigte auf, dass im Durchschnitt konventionelles Obst 350mal und konventionelles Gemüse 30mal stärker belastet ist. Die wenigen Bio-Proben, die mit Pestiziden verunreinigt waren, enthielten überwiegend (über 90 Prozent) Pestizide aus der konventionellen Landwirtschaft. Abdrift und „Altlasten“ (z. B. DDT) im Boden spielen die größte Rolle.
Das „Pestizidproblem“ in Bio-Lebensmitteln wird fast ausschließlich durch die konventionelle Landwirtschaft verursacht. Im ökologischen Landbau werden selbstverständlich keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt. Das heißt jedoch nicht, dass im ökologischen Landbau überhaupt nicht gespritzt wird. Vielmehr werden hier nur biologische Substanzen eingesetzt, die in den Richtlinien zur biologischen Bewirtschaftung ausdrücklich erlaubt sind. Das können z.B. Pflanzenauszüge und -öle, homöopathische und biodynamische Präparate, oder eingeschränkte Mengen an Kupfer und Schwefel sein.
100 % ökologische Landwirtschaft ist möglich!
Gerade ging die Biofach in Nürnberg zu Ende. Dort habe ich den Landwirtschaftsminister des indischen Bundesstaates Sikkim kennengelernt. Der kleine Bundesstaat am Fuße des Himalayas hat konventionelle Landwirtschaft verboten. 100 % der produzierten landwirtschaftlichen Produkte sind ökologisch produziert. In Deutschland sind wir davon noch weit entfernt. Die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft ist für Landwirte hierzulande allerdings auch ein wirtschaftliches Abenteuer. In den ersten drei Jahren darf der Landwirt seine Produkte zurecht noch nicht als Bio verkaufen, da die belasteten Böden sich erst einmal erholen müssen. Auch die Ernteerträge werden in der Regel geringer ausfallen. Das ist ein großes wirtschaftliches Risiko, dass durch staatliche Zuschüsse abgefedert werden muss, um die Umstellung für Landwirte attraktiv zu machen und so der Vision von 100 % Bio näher zu kommen.
Freier Autor: Frank Braun